Wer kennt die Frankfurter Künstlerin Annette Versel? Und hat neue Informationen über sie?





Eigentlich dachte ich bisher, dass sich "magische Momente" nur in der Li-teratur ereignen. Dann hatte ich selbst einen. Auf einem Antikmarkt im Frankfurter Umland sah ich eine Radierung, die mich quasi magisch anzog; wiewohl ich noch nie zuvor ein Bild gekauft hatte, geschweige denn davon wusste, dass mich Radierungen faszinieren. Ich wollte es nur genauer anschauen. Und dann ein Motiv der Frankfurter Altstadt. Das auch noch aus der Metallfeder einer Frankfurter Künstlerin, Annette Versel (1866 - 1944) stammte. Ich fragte tatsächlich nach dem Preis.


Es ist wunderschön, unglaublich detailgenau und versiert gearbeitet. Eine großartige Künstlerin. Aber wer war Annette Versel? Wieso ist so wenig über sie bekannt? Bisher haben die Recherchen nur spärliche Informationen ans Licht gebracht.


Annette Versel ist am 5.6.1866 als Anna Eliza Versel in der Großen Bocken-heimer Straße 2 in Frankfurt am Main geboren. Laut Geburtsbucheintrag (Frankfurter Stadtarchiv):


Versel, Anna Eliza, eheliche Tochter und 4. Kind des Lehrers der französischen Sprache David Louis Versel aus Rovray, Kanton Waad in der Schweiz und dessen Ehefrau Wilhelmine Louise, geb. Klein, getraut am 23.1.1862, wurde geboren dahier Große Bockenheimer Straße 2, Dienstag 5.6.1866 mittags um 3 1/2 Uhr. Grundlage des Eintrags: Erklärung des Vaters und Zeugnis des Arztes Dr. med. Flesch. Eingetragen am 16.7.1866


Der Arzt dürfte der bekannte Frankfurter Dr. Flesch gewesen sein, ein sozial stark engagierter Arzt, der aus einer Familie stammte, die bereits seit 1643 in Frankfurt lebte. Sein Sohn, Dr. Karl Flesch (1853-1915), wurde Anwalt, heiratete Ida Ebeling und gründete 1896 den Frankfurter Hauspflegeverein, eine Institution, die Arbeiterfamilien in Krisenzeiten beistand. Eine der ersten Mitarbeiterinnen des Hauspflegevereins wiederum war Meta Quarck-Hammer-schlag (1864-1954), Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin, die 1919 erste Frankfurter Stadträtin wurde. Klein scheint Frankfurt schon immer gewesen zu sein.


Friedhelm Gerecke aus Wiesbaden machte mich freundlicherweise darauf aufmerksam, dass Annnette Versel in "Kunst und Künstler in Frankfurt am Main im neunzehnten Jahrhundert" von Heinrich Weizsäcker eingetragen ist: Die Radierkünstlerin und Malerin erhielt ihre Ausbildung an der Hanauer Zeichenakademie und als Privatschülerin von Georg Cornicelius (1825-1898), später absolvierte sie einen Radierkurs bei Bernhard Mannfeld (1848-1925). 1901 wurde ihr im Pariser Salon eine "Mention Honorable" zuteil.


Sie widmete sich hauptsächlich Architektur- und Landschaftsveduten und unternahm mehrere kleinere und größere Fahrten, z.B. in die nähere Umgebung Frankfurts, nach Mittel- und Rheinhessen, Speyer und Genf, an die Mosel und in die Eifel. Auch in Lausanne und Genf entstanden Werke von ihr. Versel wird als Mitglied der Kronberger Malerkolonie genannt, ihre letzte Frankfurter Adresse lautet auf Schwindstraße 12, bei Müller (16.4.1896). Und wohin ging es dann?  Falls jemand mehr über Annette Versel weiß: Ich freue mich über jede neue Information!


Am 23. März 2020 wurde mir eine weitere Radierung von Annette Versel zugeschickt. Sie stammt aus einem Kasseler Nachlass:


IMG_1365
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Es handelt sich um eine Radierung der Ruine Königstein im Taunus. Annette Versel hat sie am 24. Mai 1941 verschenkt.


Annette Versel scheint ihren letzten Lebensabschnitt in einem Altenwohnheim im Frankfurter Westend nahe der Messe (Friedrich-Ebert-Anlage) verbracht zu haben, das infolge des Krieges in den Vordertaunus, nach Eppstein, verlegt wurde. Dort soll Annette Versel am 18.4.1944 verstorben sein. Aus ihrem Nachlass stammen folgende zwei Gemälde und eine Ledertasche mit Punzwerkzeug:




Versel, Betende
Versel, Betende

Junge Frau in Schwarz mit Gebetbuch an einer Wand zu Sitzen mit Schleier. Ölgemälde.


Versel, Dorfstraße
Versel, Dorfstraße

Dorfstraße in Coppet (Genfer See), 1906. Aquarell.


Punzwerkzeug 1a
Punzwerkzeug 1a


Werkzeugtasche mit Punzierwerkzeug zum Bearbeiten und Verzieren von Leder. Die Tasche stammt aus dem Haus Georg Hulbe. Georg Hulbe war ein bekannter Buch-binder und Leder-Kunsthandwerker (1851 - 1917) in Hamburg. Es gab bis 1911 einen Verkaufsladen in Hamburg sowie eine Filiale in Frankfurt am Main (Geothestraße 19).


Punzwerkzeug 2
Punzwerkzeug 2




Literatur:


Paquet, Alfons: Die Frankfurterin, 2. erw. Auflage 1970, Walter Krämer Verlag Frankfurt.


Weizsäcker, Heinrich: Kunst und Künstler in Frankfurt am Main im neunzehnten Jahrhundert, 1907


Wiedersphan, August & Bode, Helmut: Die Kronberger Malerkolonie, 2. Auflage 1976 (S. 179)